Offener Brief an Volker Bouffier

  • Herr Bouffier,


    Sie besuchen am 16.11.2012 einen der ältesten Kindergärten in Hessen. In diesen Kindergarten, der kürzlich sein 150jähriges Jubiläum feierte, ging schon mein Urgroßvater. Meine Vorfahren haben sich vor langer Zeit in Flörsheim niedergelassen. Lange, bevor es den Flughafen gab.


    Jetzt besucht mein jüngster Sohn Luis die Kita St. Michael. Er leidet wie viele andere Kinder unter den Qualen, die uns die Nordwestlandebahn seit dem 21.10.2011 bereitet. Er kann nicht mehr in Ruhe schlafen, bei offenem Fenster schon gar nicht. Im Garten dröhnen und donnern die Flieger direkt über seinen kleinen Kopf hinweg. Dort kann er nicht mehr ungestört mit seinem Bruder spielen. In Ruhe zu lesen, vorgelesen zu bekommen, ist selbst bei geschlossenen Fenstern unmöglich.


    Obwohl erst fünf Jahre alt, merkt er, wie verzweifelt alle sind. Er sieht Familien und Freunde wegziehen, er spürt unsere Sorgen und Zukunftsängste. Er muss die durch die Lärmfolter angespannte, aggressive Stimmung seiner Eltern ertragen.


    Wenn ich auf die Arbeit fahre und froh bin, dem Lärm für kurze Zeit zu entkommen, besucht er die Kita, die bei Ostwind von beiden Seiten umflogen wird.


    Ja, um die Zukunft der Kinder, die Sie da besuchen, steht es schlecht.


    Dauerhafte Belastung durch Fluglärm wirkt sich nämlich ungünstig auf die geistige Entwicklung von Kindern aus. In Studien zeigten sich übereinstimmend schlechtere Leseleistungen bei den dem Fluglärm ausgesetzten Kindern. Es zeigten sich auch negative Wirkungen auf Gedächtnis†und Aufmerksamkeitsleistungen.


    Sechs Stunden Schlaf, die das Nachtflugverbot (das ständig gebrochen wird!) sichern soll, sind viel zu wenig und kaum mehr als die Hälfte der 10 Stunden, die kleine Kinder brauchen.


    Die Kinder sind am schlimmsten betroffen, sie sind dem Lärm und den giftigen Abgasen den ganzen Tag schutzlos ausgeliefert.


    Sie, der den brutalen Lärm, der uns quält und krank macht, verantwortet, erdreisten sich, zu uns nach Flörsheim zu kommen. Perverserweise kommen Sie nicht, um sich den Sorgen und Nöten der Menschen zu stellen. Nein, Sie kommen zu den hilflosen Kindern als netter Vorleseonkel, als Wolf im Schafspelz.


    Herr Bouffier, was sind Ihnen die Kinder in Flörsheim wirklich wert? Was ist Ihnen die Gesundheit von Tausenden Menschen hier in der Region wert? Was maßen Sie sich an, uns diese Qualen bewusst und mit voller Absicht ertragen zu lassen? Was darf uns (noch) bis zu welcher Grenze zugemutet werden. Um welchen Preis?


    Sie sollten wissen, dass Sie in Flörsheim nicht willkommen sind, eine persona non grata.


    Wir brauchen keinen Leseonkel, wir brauchen dringend Hilfe. Wir wollen unser Leben, unsere Gesundheit, unsere Zukunft zurück!


    Mein Sohn will und wird am 16.11. nicht in seine Kita gehen. Genauso wie die „echte“ Vorleseoma, die das ganze Jahr über den Kindern im Kindergarten jeden Freitag ehrenamtlich vorliest.


    Von Ihnen und ihresgleichen zu Sonderopfern degradiert, werden wir nicht auch noch für Ihre gute Publicity herhalten.


    Wir werden Ihnen einen „standesgemäßen" Empfang bereiten.


    Silke Bolender