Archiv: Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel

  • Im März haben wir folgenden offenen Brief an die Bundekanzlerin geschickt.
    Er wurde 240 mal unterschrieben:


    Transparenz und Bürgerbeteiligung versus Politikverdrossenheit, Vertrauensverlust und Radikalisierung - "Dialog über Deutschlands Zukunft" der richtige und einzige Weg!


    Sehr geehrte Frau Dr. Merkel,


    mit Freude und zugleich hohen Erwartungen habe ich jüngst vom Internetforum "Dialog über Deutschlands Zukunft" erfahren. Hierzu erlauben Sie mir einige Ausführungen.


    Im Zentrum allen politischen Geschehens steht der Souverän, der in unserer parlamentarischen Demokratie den Repräsentanten mit seiner Stimme für eine oder mehrere Wahlperioden sein Vertrauen schenkt. Vertrauen, welches leider Gottes in der Vergangenheit immer häufiger missbraucht und mit Füssen getreten wird. Es ist an der Zeit, dass unsere gewählten Vertreter sich ihrer Aufgabe als Volksvertreter und somit Interessenvertreter und des entgegengebrachten Vertrauens wieder mehr als bisher bewusst werden. Es geht nämlich nicht darum, in den Vorstand bei Siemens, in den Aufsichtrat bei den Wasserbetrieben oder in den Großflughafen Berlin Brandenburg (BER) seine Kraft und Energie zu stecken, sondern vielmehr im politischen Amt, für seinen Wahlkreis für seine Wähler, gut zu performen.


    Das politische Geschehen stellt sich für einen Großteil der Bevölkerung zunehmend als Kabarett oder als groß inszenierte Theateraufführung dar. Täglich werden wir mit neuen Skandalen aus dem politischen Bereich konfrontiert. Wehe einer von den so genannten Kleinen verstößt einmal gegen Recht und Gesetz. Gleich ist eben nicht immer gleich, manche sind halt gleicher. Hier vergünstigte Reisen oder Flüge, dort Prämien oder andere finanzielle Zuwendungen trotz mtl. Diäten von Bundestagsabgeordneten in Höhe von 7.668 Euro, welche in zwei Schritten - 2012 und 2013 - um jeweils 292 Euro erneut steigen sollen. Das versteht der Bürger, der teilweise gar nicht mehr weiß, wie er seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen soll, nicht mehr. Er will es auch gar nicht mehr verstehen. Er ist der Sache überdrüssig. Und was er darüber hinaus bei knappen Kassen und hoher Staatsverschuldung gar nicht versteht, geschweige denn toleriert, sind Verschwendungen von Steuergeldern, so auch beim größten Infrastrukturprojekt in den neuen Bundesländern, dem Flughafen Berlin Brandenburg (BER) "Willy Brandt".


    Da sich das Projekt zu je drei Teilen in öffentlicher Hand befindet; private Investoren wie Hochtief haben die Zeichen der Zeit richtig und auch zeitgerecht erkannt und sind in der Vergangenheit als private Investoren abgesprungen, trägt es sich bis dato ausschließlich über Steuergelder. Steuergelder, die im Bereich von Bildung und Forschung wesentlich besser aufgehoben wären.


    Imagekampagnen zur Namensgebung oder zur Verbesserung der schlechten Reputation, verschlingen Millionen. Erstgenanntes musste zwingend erfolgen. Hatte man doch übersehen, dass das IATA- Kürzel BBI bereits an den indischen Flughafen Biju Patnaik Airport in Bhubaneshwar vergeben ist. Deshalb legte der Aufsichtsrat der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH am 11. Dezember 2009 den neuen Hauptnamen Flughafen Berlin Brandenburg (BER) und den Beinamen "Willy Brandt" fest.


    Dieses Management spricht nicht gerade für Professionalität und Weitsicht. Was jedoch in Gänze das so genannte Vorzeigeobjekt vom ersten Tag an vermissen lässt, und dies bringt mich zu meiner These "Transparenz und Bürgerbeteiligung versus Politikverdrossenheit, Vertrauensverlust und Radikalisierung - "Dialog über Deutschlands Zukunft" der richtige und einzige Weg!" zurück, ist die mangelnde Transparenz; Ehrlichkeit und Bürgerbeteiligung, gerade in den heißen Phasen. In der gesamten Zeit, von der ersten Idee in den frühen 90ern bis zum heutigen Tag ist der planfestgestellte mittelgroße Verkehrsflughafen mit zwei Start- und Landebahnen im unabhängigen Parallelbetrieb für den Bedarf von Berlin und Brandenburg im nationalen und internationalen Bereich, geprägt von Hinterzimmerpolitik, Trickserei und Intransparenz.


    Mit dieser Strategie, die gar keine ist, gewinne ich nicht die "Hearts and Minds" der Bevölkerung und schon gar nicht die, die vom Fluglärm unmittelbar mittelschwer bis schwer betroffen sind. Bewusst bläht man die Fluglärmkommission (FLK) für den BER, in der "Betroffene" und "Verursacher" sitzen, auf 44 Mitglieder auf. Vorgesehen sind eigentlich maximal 15 Teilnehmer. Ein Konsens lässt sich in dieser Zusammensetzung nur unzureichend oder gar nicht finden. Hier erwartet man eine Steuerung von Seiten der drei öffentlichen Träger. Waren sie es doch gewesen, die die Regeln zur Zusammensetzung der FLK aufgestellt haben. Wozu setze ich Regeln, wenn diese eh nicht eingehalten werden? Das Fass wurde Mitte 2011 seitens der Deutschen Flugsicherung (DFS) und anderen zum Überlaufen gebracht, als man nach jahrelanger Planung urplötzlich feststellen musste, dass ein Parallelbetrieb mit Geradeausflügen aufgrund geltender Verfahren , Regelungen und Richtlinien am BER nicht möglich ist. Eine Veränderung der Abflugverfahren unter Heranziehung von abknickenden Flugrouten war unabdingbar. Alle Bürgerinnen und Bürgern, besser gesagt Neueigentümerinnen und Neueigentümern, die wohl um die Flughafennähe wussten und denen man den planfestgestellten Geradeausflug von offizieller Seite suggerierte, waren auf einmal vom Fluglärm betroffen. Damit zerstören sie ganze Existenzen und Lebensträume. Und als wenn dies nicht schon reichte, setzte man noch die Idee eines "Hubs", eines internationalen Drehkreuzes mit einer dritten Startbahn oben drauf. Somit erschleiche ich mir durch die Hintertür einen in den 90 ern ursprünglich geplanten Großflughafen mit bis zu vier Start- und Landebahn am Souverän vorbei. Diese Art und Weise ist weder transparent noch ehrlich. Es ist vielmehr eine bewusste Täuschung von Zigtausenden.


    In diesem Zusammenhang wird von Herrn Wowereit und weiteren Lobbyisten der Flugbranche sogleich um Verständnis und für Toleranz geworben. Es gehe ja schließlich um das Tor Berlins zur weiten Welt und den Jobmotor schlechthin für die Region Berlin- Brandenburg mit bis zu 40.000 Arbeitsplätzen. Welche Effekte auf dem Arbeitsmarkt durch Ausbau eines Flughafens erzielt werden können, skizziert eindrucksvoll Report MAINZ vom 14.02.2012 am Beispiel des Flughafens Frankfurt a.M.. In dieser Berichterstattung wurden unter anderem Unternehmer, die ihren Firmensitz in unmittelbarer Flughafennähe haben, über die positiven Auswirkungen im Bereich des Beschäftigungszuwachses befragt. Alle Befragten negierten Neueinstellungen. Vielmehr verfolgen die Unternehmen aus wirtschaftlich nachvollziehbaren Gründen die Verschiebung von Personal in die unmittelbare Nähe zum Flughafen. Und Personalverschiebung lässt sich nun mal nicht mit Personalneueinstellung gleichsetzen.


    Die gleiche Strategie wird gegenwärtig am BER mit der oft proklamierten Zahl von 40.000 neuen Arbeitsplätzen versucht. Wo oder vielmehr wodurch entstehen diese denn? Sie entstehen wiederum zu ganz großen Teilen durch Personalverschiebungen von Tegel nach Schönefeld und schlechteren finanziellen Konditionen. Wenn so das Jobwunder am Vorzeigeobjekt BER aussieht, na dann Prost Mahlzeit. Auch daran wird wiederum deutlich, dass seitens der Flughafenbetreiber und deren Befürworter nicht mit offenen Karten gespielt, geschweige denn ehrlich und vor allem aufrichtig mit der Bevölkerung umgegangen wird.


    Dass es hier vielmehr um neue Betroffenheiten, gesteigerten Gesundheitsrisiken und Verschlechterungen in der Lebensqualität geht, ganz zu schweigen vom psychologischen Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist, so gleicht doch die Argumentation von Herrn Wowereit, als Regierender Bürgermeister des Landes Berlin, schon einer Körperverletzung.


    Mit Aussagen von dieser oder ähnlicher Qualität dürfen sie sich Tag ein Tag aus auseinandersetzen. Ein unhaltbarer Zustand, wie ich finde. Um in dieser Thematik das Vertrauen in die Politik wieder zurück zu gewinnen, bedarf es zahlreicher richtungweisender politischer Entscheidungen und Impulse, die endlich einmal für die Gesundheit und den Erhalt der Lebensqualität eintreten. Es spielt in diesem Zusammenhang keinerlei Rolle aus welchem Bundesland die Impulse kommen, entscheidend ist, dass sie kommen. Am besten wäre es natürlich, wenn der grundlegende Anstoß zu einem bundesweiten Nachtflugverbot, dem ich mich im Folgenden kurz widmen möchte, von oberster Stelle kommen würde. Vermehrt werden Stimmen laut, egal ob an den Flughafenstandorten München, Leipzig, Frankfurt, Berlin, um nur einige zu nennen, nach einem absoluten Nachtflugverbot in der Zeit von 22.00 bis 06.00 Uhr. Bei Dauerbelastungen im Laufe des Tages, verursacht durch Fluglärm, ein Minimum an Ausgleich, den man als Betroffener einfach erwarten muss.


    Auf Landesebene wird unsereins immer wieder entgegengebracht, dass eine Entscheidung über ein Nachtflugverbot nicht im Alleingang umsetzbar ist. Die Umsetzung einer derartigen Maßnahme bedarf des Mehrheitsprinzips und muss immer im bundesweiten Konsens erfolgen. Um Mehrheiten zu generieren muss einer endlich einmal als Impulsgeber auftreten. Jeder wartet auf den anderen. Wie schnell es zu einem Paradigmenwechsel kommen kann, zeigte die Frage über den Atomausstieg. Ein Prozess, der sehr lange lief, und nach einer verheerenden Katastrophe in Japan, endlich eine schnelle Umsetzung fand.


    Es gibt keinen Nachtflugbedarf im Passagierbereich am BER oder anderen Flughafenstandorten. Dies zeigt unter anderem die tns emnid Umfrage im Auftrag des Bürgerverein Berlin Brandenburg e.V. (BVBB) vom 24. August 2011. Dies ist ein Faktum. Dass Fluglärm und gerade Fluglärm, verursacht durch Nachtflüge, die Gesundheit schädigen, ist ebenfalls unbestreitbar. Zahlreiche Studien, eine lärmfachliche Bewertung der Flugrouten für den Verkehrsflughafen Berlin Brandenburg durch das Umweltbundesamt (UBA) und ein Gesundheitsmonitoring am Flughafen Frankfurt unterstreichen dies. Sie genießen aber alle nur einen beratenden oder empfehlenden Charakter. Irgendwie schon schizophren. Wenn diese keinerlei oder nur marginalen Einfluss auf Entscheidungen der Anderen haben, so muss man sich die Frage gefallen lassen, ob man diese Instrumente noch benötigt.


    An diesem Punkt angekommen, muss es irgendwann einmal aufhören, dass die Gegenseite versucht Tatsachen und Fakten durch entsprechende Gegengutachten zu entkräften. Hier vermisst man wiederum eine politische Entscheidung, die von der Vernunft geleitet, eine klare und unmissverständliche Position für ein absolutes bundesweites Nachtflugverbot abgibt.


    Ein weiterer Beleg für schlechte Informationspolitik und zunächst zögernde politische Haltung, der jüngst zu großem Unmut bei den Bürgerinnen und Bürgen führte, ist, die von Siim Kallas, Vizepräsident der Europäischen Kommission, bereits am 1. Dezember 2011 veröffentlichte Mitteilung an das Europäische Parlament mit den Namen "Flughäfen in der Europäischen Union (EU) - Adressierung Kapazität und Qualität zu fördern Wachstum, Konnektivität und nachhaltige Mobilität."


    Dieses Maßnahmenpaket sieht unter anderem eine Aufweichung der Betriebsbeschränkungen an Flughäfen in der EU vor. Bestehende Flughafenkapazitäten sollen effizienter genutzt und die Qualität der Dienstleistungen vor und nach der Landung erhöht werden. Man möchte dadurch dem Lärmschutz eine höhere Bedeutung zu kommen lassen, bewirkt mit der Aufweichung jedoch eher das Gegenteil. Man räumt den Flughafenbetreibern durch einen derartigen Vorstoß noch mehr Freiräume in der Aufweichung der ohnehin schon unzureichenden Nachtflugbeschränkungen ein. Dies gilt es zu verhindern. Die Subsidiaritätsrüge durch den Bundesrat in Richtung des Siim Kallas wird von mir begrüßt. Eine erneute Befassung zu diesem Thema durch den Bundesrat erfolgte am 10. Februar 2012 nicht. Es bleibt abzuwarten, ob der eingeschlagene Kurs beibehalten wird. Auch am EU Maßnahmenpaket wird deutlich, dass Informationspolitik nicht richtig funktioniert. Die Informationen aus dem europäischen Raum kommen an der Basis noch unzureichender an, als Beschlüsse innerhalb Deutschlands.


    Transparenz und Verständlichkeit sieht anders aus. Hier ist zum einen jeder Einzelne, zum anderen aber auch der gewählte Repräsentant in der Verantwortung Entscheidungen und deren Auswirkungen verständlich zu machen und zu erörtern.


    Damit sich der Einzelne eine Meinung bilden kann, müssen ihm die Informationen auch umfassend zur Verfügung gestellt werden.


    Anhand des größten Infrastrukturprojektes in den neuen Bundesländern wollte ich Ihnen als unmittelbar schwer Betroffener durch Fokussierung auf die Themen bundesweites absolutes Nachtflugverbot und EU- Maßnahmenpaket aufzeigen, dass Bürgerbeteiligung in unserem Land falsch oder unzureichend läuft. Transparenz bedeutet nicht den Souverän mit nicht umkehrbaren Beschlüssen zu konfrontieren, sondern vielmehr ihn am Gesamtprozess auf dem Weg dorthin bestmöglich zu beteiligen.


    Da das Vertrauen in die Politik und die politischen Aussagen stark gebrochen ist, ist mein Appell daher an sie, sich mehr den in unserer Demokratie ohnehin fest verankerten direkten Elementen zu öffnen, und den Bürger intensiver in Entscheidungsprozesse zu Großprojekten einzubinden. Weiterhin möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben, dass man als Person und vielmehr noch als Person, die über Ideen und kreatives Gedankengut verfügt, ernst genommen werden möchte. Das ernst nehmen, sollte nicht nur in Vorbereitung eines Wahlkampfes, sondern immer erfolgen. Ein weiterer Schritt, um mehr Verständnis für politische Entscheidungen bei Großprojekten wie dem BER zu erzielen und Vertrauen in die Politik zurück zu gewinnen, wäre ein ernstgemeinter und gerechter Interessenausgleich unter Einbeziehung aller Beteiligten.


    Interessenausgleich bedeutet jedoch nicht, dass nur die Interessen der Konfliktpartei A, in diesem Fall der Flughafenbetreiber und Träger Umsetzung finden. Interessenausgleich bedeutet, dass sich beide Konfliktparteien auf Augenhöhe begegnen und als gleichberechtigte Partner zu den Themen, wie Nachtflug und passiver Schallschutz um nur einige zu nennen, in den Dialog treten und zeitnah Ergebnisse zum Wohle der Menschen erzielen. Dazu eignet sich eine aufgeblähte FLK nicht. Sollte ein Konsens zu prekären Themen nicht erfolgen können, so sind die Verhandlungen nicht abzubrechen, sondern durch Vermittlung voranzutreiben. Hier sehe ich die Politik oder einen bestellten Schlichter in der Pflicht. Dieser Weg ist nach meinem Dafürhalten ein ehrlicher und gerechter.


    Sollte in Zukunft der Stimme des Volkes nicht ausreichend Gehör geschenkt werden bzw. bei Großprojekten, die massiven Einfluss auf die Lebensumstände der Menschen nehmen, keine Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe erfolgen, so wird der Weg in eine noch höhere Politikverdrossenheit; Wahlen sind ohnehin nur noch personenbezogen, und in eine zunehmende Radikalisierung führen. Dieser Trend darf jedem Befürworter einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zu denen ich mich zähle, nicht gleichgültig sein und sollte die Alarmglocken aufläuten lassen. Dieser Trend darf eben nicht als Randerscheinung abgetan werden. Setzen Sie bitte weiterhin ein Zeichen in Richtung eines offenen Bürgerdialogs und einer Bürgerbeteiligung und nehmen Sie die Rufe der Bevölkerung in Richtung eines bundesweiten Nachtflugverbotes ernst.


    Hochachtungsvoll


    Ihr
    Lars Lempio