Ein sehr gelungener Brief an Herrn Bundespräsident Gauck

  • Sehr geehrter Herr Gauck,


    daß ich mich jemals an den Bundespräsidenten wenden würde, hätte ich noch vor 10 Tagen für unmöglich gehalten. Doch mein Bild der deutschen Demokratie ist wohl an Ihrer Reaktion letzten Freitag auf den Versuch der Fluglärm-Demonstranten in Wiesbaden, Sie auf die Not der Bewohner des Rhein-Main-Gebietes aufmerksam zu machen, endgültig zerbrochen.


    ...


    Doch viel schlimmer als die Beeinträchtigungen durch den geänderten und vermehrten Flugverkehr empfinde ich das Procedere von Politik und einem Teil der Wirtschaft im Rahmen des Ausbaus. Mit falschen Zahlen wird ein Projekt auf dem Rücken der Bürger durchgeboxt, das bis auf wenige Flughafengewinnler nur Verlierer kennt. Politik und ein kleiner Wirtschaftsbereich arbeiten Hand in Hand und belegen die 'Problemlosigkeit' ihres Tun teilweise nach wie vor mit Studien, die inzwischen weithin widerlegt sind. Nicht das Wohl der Bürger - sprich meines - steht im vordringlichen Focus der Politik, sondern der Gewinn einiger weniger. Auf der einen Seite beschwört die Politik lauthals die Einigkeit der Gesellschaft und sieht immer mehr die Verdrossenheit zunehmender Teile der Bevölkerung als Bedrohung der Demokratie, auf der anderen Seite werden große Teile der Bevölkerung auf die Barrikaden getrieben und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter geöffnet.


    Das Amt des Bundespräsidenten war für mich immer die Instanz, die unabhängig von Parteiquerelen und Lobbyismus im Falle von 'Schräglagen' des politischen Systems korrigierend tätig wird und aufpaßt, daß der Begriff 'Demokratie' in Deutschland nicht zu einer leeren Worthülse verkommt. Und Sie, Herr Gauck, waren für mich - auch aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit - immer integer, weshalb ich Ihre Wahl zum Bundespräsidenten auch sehr begrüßt habe. Ich habe in Ihnen die Person gesehen, die den Finger hebt, wenn die Demokratie teilweise 'außer Kraft gesetzt' wird - also sozusagen den 'obersten Demokratiewächter'.


    Doch jetzt lese und höre ich, daß Sie sich für die Belange der Menschen für nicht zuständig erklären. Wenn Sie aber dem Kontakt zu den Bürgern aus dem Weg gehen, die versuchen, sich gegen Mißstände des politischen Systems (denn als solches ist ist das Verfahren des Flughafenausbaus wohl anzusehen) zur Wehr zu setzen, verlieren Sie das Verständnis für die Menschen in diesem Lande. Dieser 'Kampf' um Gesundheit, Leben und auch Werteerhalt ist eine tiefgehende Einstellung der Menschen mit wegweisender Bedeutung für dieses Land - keine Tagespolitik. Bekommen Sie nicht mit, daß mittlerweile sogar Menschengruppen, die angeblich 'demokratietragend' sind, mit den Entwicklungen der letzten Zeit (Bankenverhalten in der Finanzkrise, Ignorierung von Bürgerinteressen z.B. beim Lärmschutz im allgemeinen und speziellen) ihre Probleme bekommen? Daß der Unmut vieler 'SilverAger' zunimmt, die sich von der Politik - nett gesagt - ignoriert fühlen?


    Ich persönlich fühle mich durch Ihr Verhalten allein gelassen. Ich finde mich in der politischen 'Mitte' nicht mehr wieder. Wohin ich schaue, überall muß ich feststellen, daß der Bürger hinter Wirtschaftsinteressen zurück steht. Nur in kleinem Rahmen (Lokalpolitik, manchmal kleinere und mittlere Firmen) scheint der Mensch noch zu zählen - ab einer gewissen Größenordnung scheint der Maßstab sowohl in Wirtschaft als auch Politik zu verrutschen. Ist dies auch bei Ihnen geschehen, Herr Gauck?


    Herr Gauck, ich bitte Sie ganz eindringlich, sich wieder auf die Menschen in Deutschland zu konzentrieren, darauf zu achten, daß die Wirtschaft nicht zum (allein) maßgeblichen Entscheidungsfaktor in diesem Land wird. Sie haben als Bundespräsident vielleicht nicht den politischen Einfluß, die Entwicklung der letzten Jahre umzukehren. Aber Sie haben eine moralische und ethische Macht, die viel bewegen könnte - wenn Sie sich wieder auf Augenhöhe mit den Menschen in diesem *unseren* Land begeben würden. *Sie* stehen für Demokratie, für *Volks*herrschaft. Bitte helfen Sie mit, daß auch in Zukunft das Volk die Herrschaft ausübt - und nicht eine wie auch immer geartete kleine Gruppe. Das, was sich als drohende Zukunftsvision abzeichnet, gab es in der Vergangenheit schon einmal: man nannte es Feudalherrschaft... Meines Erachtens alles andere als ein wünschenswertes Ziel!


    Es gab einmal einen Bundespräsidenten, der einer drohenden politischen Entwicklung nicht rechtzeitig entgegen getreten ist. Die Folge waren Millionen von Toten. Bitte treten Sie nicht in die Fußstapfen dieses Bundespräsidenten - vertreten Sie rechtzeitig die Interessen der Menschen im Lande. Geben Sie mir etwas Vertrauen in unser politisches System zurück! Bitte zeigen Sie sich wieder als der Mann, der sich für Menschen einsetzt, nicht als eine Schaufensterpuppe, die man irgendwo hinstellt, weil sie zufällig wunderbar repräsentieren und reden kann....


    Danke
    Wolfgang Clemens, Bodenheim


    P.S.: ein Punkt zur Vertrauensbildung wäre eine Antwort auf mein Schreiben, und zwar eine, die nicht aus zusammen gesetzten Textbausteinen besteht...

  • Sehr geehrter Herr Bundespräsident,


    ich schreibe Ihnen als Vertreterin der Bürgerinitiative Flörsheim-Hochheim, die sich u.a. gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens, für die Schließung der Nordwestlandebahn und ein längeres Nachtflugverbot einsetzt.

    Damit Sie einen Eindruck von dem ganzen Ausmaß der Auswirkungen des Betriebs der Nordwestlandebahn bekommen, möchte ich Ihnen beispielhaft dafür meine persönliche Situation schildern.

    Meine Vorfahren haben sich vor langer Zeit in Flörsheim niedergelassen. Lange, bevor es den Flughafen gab. In einen der ältesten Kindergärten Hessens (der kürzlich sein 150jähriges Jubiläum feierte) und den mein jüngster Sohn Luis besucht, ging schon mein Urgroßvater. Meine Wurzeln, meine Heimat, das hat für mich eine große Bedeutung. Darüber hinaus bin ich auf mein soziales Netzwerk hier angewiesen.

    Wir sind nicht gegen den Flughafen. Wir leben schon lange mit ihm. Doch was hier seit dem 21.10.2011 Menschen angetan wird, sprengt alles Vorstellbare.

    Die Kinder sind am schlimmsten betroffen, sie sind dem Feinstaub und Lärm den ganzen Tag schutzlos ausgeliefert.

    Meine beiden Söhne leiden wie viele andere Kinder unter dem Lärmteppich, unter dem Flörsheim seit Inbetriebnahme der Nordwestlandebahn liegt. Sie können nicht mehr in Ruhe schlafen, bei offenem Fenster schon gar nicht.

    Sich auf Hausaufgaben oder das Lernen zu konzentrieren ist unmöglich und das Spielen im Freien unter dröhnenden und donnernden Flugzeugen wird zur Qual.

    Schade, dass Sie bei ihrem Hessen-Besuch nicht Halt in einer Flörsheimer Schule gemacht haben. Die Schulen, die hier stehen, dürften aus Lärmschutzgründen an ihren Standorten mehr gebaut werden, weil es zu laut ist. Für den Umbau der Grundschule, in die mein anderer Sohn geht, musste deshalb eine Ausnahmegenehmigung eingeholt werden.

    Ich selbst kann bei Ostwind kaum einschlafen, werde regelmäßig um 5 wieder geweckt und finde dann sogar bei geschlossenem Fenster mit "Ohrenstöpseln" keine Ruhe mehr.

    Zu den körperlichen Schmerzen kommt die seelische Belastung. Freunde ziehen weg, das Umfeld verändert sich. Werden wir krank? Was kann ich meinen Kindern zumuten. Welche finanziellen Einbußen bringt ein Umzug mit sich?

    Im Moment können wir uns einen Wegzug nicht leisten, und wenn, wüssten wir nicht, wohin. Mal abgesehen davon, würden hier ja wieder Menschen einziehen...

    Was ist meine Gesundheit wert, Herr Gauck? Die meiner Kinder und meiner Familie? Die von Tausenden Menschen hier in der Region? Was darf und bis zu welcher Grenze zugemutet werden. Um welchen Preis? Ist Gesundheit überhaupt verhandelbar? Gegen Profit abwägbar?

    Ich weiß nicht, wie oft ich meine Sorgen und Ängste, meine Wut und meine Verzweiflung in den letzten eineinhalb Jahren in verschiedenen Zusammenhängen vorgetragen habe. In unzähligen Schreiben an die für den Flughafenausbau Verantwortlichen, an Politiker, Volksvertreter, Kirchen, Zeitungen, ich habe es in die Kamera gesagt, auf Flugblätter geschrieben, an Demonstrationen darüber gesprochen, Fremden erklärt.

    Unermüdlich schreibe und spreche ich es immer wieder aus, in der Hoffnung, etwas damit bewegen zu können.

    So stand ich als Vertreterin der Bürgerinitiative Flörsheim-Hochheim auch in der Gruppe der Demonstranten an jenem sonnenbestrahlten Tag am 15. März in Wiesbaden, an dem Sie lächelnd (nicht uns, aber den Medienvertretern) erklärt haben, sie wären nicht zuständig und hätten das "denen" auch schon gesagt.

    Sehr geehrter Herr Bundespräsident, diese Aussage hat uns getroffen, geärgert und verletzt.

    Die Menschen, für die ich spreche und schreibe fühlen sich verlassen, betrogen, dem Krach und den Giften schutzlos ausgeliefert, regelrecht gefoltert. Sie fühlen sich von den politisch Verantwortlichen verlassen, mehr noch: geopfert für wirtschaftliche Interessen und den Profit von ganz wenigen. Dabei sind die einstmals versprochenen 250.000 Arbeitsplätze auf im Moment lächerliche 1700 geschrumpft. Wie sollen die Menschen auf einen Staat vertrauen in einem Land, in dem die Lobbyisten Lärmschutzgesetze schreiben, die Ihren Namen nicht verdienen?

    Ich bin Beamtin und habe einen Eid auf das Grundgesetz abgelegt und staune, wie das, was hier passiert, möglich sein kann. Und keiner ist oder fühlt sich zuständig.

    Glauben Sie mir, wir demonstrieren nicht zum Spaß in der Kälte, morgens um 10 in Deutschland (viele hatten sich extra Urlaub genommen), jeden Montag im Terminal (seit anderthalb Jahren) oder zu vielen anderen Gelegenheiten.

    Verzweifelt nutzen wir jede Chance, um auf unsere Situation, unsere Not aufmerksam zu machen. Jede Aktion, jeder Brief, jede Demonstration ist ein lauter Hilferuf.
    Das Gefühl dürfte Ihnen vielleicht bekannt vorkommen.

    Ein wenig Anteilnahme, ja Menschlichkeit und Güte den friedlichen Demonstranten gegenüber - das wäre möglich und vor allen Dingen anständig gewesen.

    So bleibt in Hessen trotz strahlendem Wetter der Eindruck von einem abgehobenen kalten Bundespräsidenten, der viele Bürger getroffen und Kinderhände geschüttelt hat, aber an den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes vorbeigegangen ist.

    Ich würde mich freuen, wenn Sie dazu noch etwas beizutragen oder klarzustellen hätten und stehe Ihnen bei Fragen gerne zur Verfügung. Sie sind darüber hinaus jederzeit eingeladen, sich bei Ostwind selbst davon zu überzeugen, was hier eigentlich los ist.

    Mag sein, dass Sie als Bundespräsident kraft ihres Amtes nicht viel für uns tun können. Doch mit Ihrer Geschichte und Ihrer Persönlichkeit verfügen Sie über eine nicht unbedeutende Präsenz und Strahlkraft, die Sie für die Menschen in diesem Land, sie sonst keine Fürsprecher und keine Lobby haben, zum Einsatz bringen sollten.

    Es grüßt Sie aus Flörsheim
    Silke Bolender für die Bürgerinitiative Flörsheim-Hochheim